Pflege – Anerkennung & Wertschätzung schaffen

Ein Tatsachenbericht von Ulrike Becker Dehning  

Notstand in der Pflege
Seit 1980 arbeite ich mit Unterbrechungen in der Pflege. Nach der Ausbildung zur Kinderkrankenschwester (heute: Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin für pädiatrische Intensivpflege) habe ich überwiegend auf verschiedenen Kinderintensivstationen gearbeitet. Es ist ein schöner Beruf, der mich viele Jahre erfüllt hat. Die Arbeit ist interessant, anspruchsvoll, verantwortungsvoll, vielseitig und oft auch seelisch und körperlich anstrengend. Den Kontakt mit Menschen und das Gefühl, sie in Ausnahmesituationen unterstützen zu können, empfinde ich als etwas ganz Besonderes. Ich habe viele Veränderungen und Entwicklungen in der Medizin miterlebt und es ist oft erstaunlich, was es im Gegensatz zu den achtziger Jahren heute für Möglichkeiten gibt. 

Das Fehlen von Pflegekräften führt zu lebensbedrohlichen Situationen
Es hat sich aber auch Einiges verändert, was nicht mehr hinzunehmen ist. Seit vielen Jahren nimmt die Belastung in der Pflege kontinuierlich zu. Pflegefachpersonal wurde lange Zeit, vor allem im Krankenhausbereich, als Kostenfaktor gesehen und kontinuierlich abgebaut. So ist es schon lange vor der Corona Pandemie zu einem Pflegenotstand in Deutschland gekommen. Es fehlten da bereits 50.000 bis 80.000 Pflegefachkräfte. Und der künftige Mehrbedarf an Pflegefachpersonal wird heute bundesweit auf ungefähr 130.000 Vollkräfte in der Langzeitpflege und 100.000 Vollkräfte in der Krankenpflege geschätzt. Gleichzeitig führt die demographische Entwicklung zu steigenden Fallzahlen sowie veränderten Fallstrukturen (zum Beispiel durch immer mehr demente und multimorbide Patienten) und damit zu einem erhöhten Pflegebedarf.  Oft ist überhaupt keine Zeit mehr, Patienten auch menschlich zu versorgen, auf ihre Ängste und Bedürfnisse einzugehen. Es herrscht eine große Unzufriedenheit in der Pflege. Verschiedene Studien zeigen, dass ein Drittel aller Pflegefachkräfte den Job aufgeben will und fast die Hälfte ihren Stellenanteil reduzieren will.

Überlastungen des Pflegefachpersonals & Personalmangel
Diese Situation führt dazu, dass auf Grund von Personalmangel in der Pflege im Krankenhaus oft Betten gesperrt werden müssen. So hat es zum Beispiel im Oktober 2018 einen aufwühlenden Bericht von der Kinderintensivstation in der Medizinischen Hochschule Hannover gegeben. Dort mussten allein bis zu diesem Zeitpunkt 300 Kinder abgewiesen werden, und das auf einer Station für schwerkranke Kinder. Das bedeutet auch, dass die Kindern unter Umständen deshalb gestorben sind. Das Leid, das hier verursacht wird, ist in keiner Weise zu verantworten. Und es passiert nicht nur in Hannover oder auf Kinderstationen, sondern im ganzen Land, auch auf Erwachsenenstationen. Hinzu kommt es, selbst wenn Betten gesperrt werden, immer noch regelmäßig zu Überlastungen des Pflegefachpersonals. In der Pflege kann das potenziell zu einer Gefährdung oder Schädigung der Pflegeempfangenden führen.
Obwohl das Pflegeberufegesetz beschlossen und verabschiedet wurde, wird sich die Situation in absehbarer Zeit nicht verbessern, da es nicht genügend Personal gibt.

Ein falsches Bild führt zu fehlender Wertschätzung
In Gesellschaft und  Politik besteht ein verzerrtes Bild von der Pflege und ihren Kompetenzen und Leistungen. Es fehlt an Wertschätzung für den Pflegeberuf. Das zeigt sich beispielsweise darin, dass Kompetenzen nicht genutzt werden. So dürfen Pflegefachkräfte in vielen Bereichen ihr Wissen und Können nicht ohne ärztliche Anordnung einsetzen. Auch die schleppende Umsetzung der Akademisierung der Ausbildung untermauert diesen Eindruck.
Natürlich krankt es nach wie vor an der Vergütung. Angesichts der Verantwortung und Belastungen sind die Gehälter viel zu oft viel zu niedrig.

Zur Verbesserung der Situation der Pflegefachkräfte fordert der Deutsche Pflegerat:

  • Es muss in allen Bereichen der Pflege eine verbindliche und angemessene Personalausstattung geben, die sich am Versorgungsbedarf orientieren. Es muss mehr Zeit sein für qualitativ hochwertige Pflege und für menschliche Zuwendung.
  • Überall in der Pflege sind angemessene Gehälter zu zahlen, die sich an der Verantwortung und Systemrelevanz des Berufes orientieren.
  • Der Aufgabenzuschnitt der professionellen Pflege und die Aufgabenverteilung zwischen den Gesundheitsbereichen ist neu zu regeln. Pflegefachpersonen sollen autonom ihre vorhandenen Kompetenzen einsetzen können.  Damit könnten auch Karrieremöglichkeiten in der Versorgung pflegebedürftiger Menschen geschaffen werden.
  • Die Führungskompetenz der Pflegeleitungen ist zu fördern und die Organisation pflegerischer Arbeit zu verbessern. So führt z. B. ein zuverlässiger und professionell gestalteter Dienstplan zu einer höheren Mitarbeiterzufriedenheit.
  • Eine qualitativ hochwertige Ausbildung ist notwendig.
  • Eine berufliche Selbstverwaltung in Form einer Pflegeberufe-Kammer ist zu errichten.

Anerkennung & Wertschätzung schaffen
Diese Vorschläge entsprechen den Forderungen im Wahlprogramm von Bündnis 90/ Die Grünen.   
Durch bedarfsgerechte Personalbemessung – auch in der Langzeitpflege – , die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, mehr eigenverantwortliche Arbeit von Fachkräften, den Abbau unnötiger Bürokratie und die Ermöglichung neuer Arbeitszeitmodelle wollen wir Arbeitsbedingungen schaffen, unter denen viele Menschen – ganz neu, weiter oder wieder – gerne in der Pflege arbeiten. 


Geschrieben von:
Ulrike Becker-Dehning aus Schönefeld
(Gemeindevertreterin Schönefeld)