Grundsicherung

Vom Traumberuf im Kulturbetrieb in die Altersarmut

(Ein persönlicher Erfahrungsbericht von Corinna Vock, 65 Jahre, aus dem Amt Unterspreewald)

„Macht euch selbständig“ hieß es von Regierungsseite Ende der 80-er, Anfang der 90-er. „Verlasst euch nicht auf die anderen!“ Als Künstlerin ist das eh` nicht so, dass man sich das aussuchen könnte. Die Festanstellungen, vor allem für Schauspielerinnen, sind sehr begrenzt. Also arbeitet man „gemischt“. Als Schauspielerin an Privaten Theatern (sehr schlecht bezahlt, da kaum gefördert und über die Eintritte geht nicht so viel), als Synchronschauspielerin (besser bezahlt, für Frauen auch nicht soooo viele Rollen, vor allem, wenn man nicht mehr wie 25 klingt) und natürlich andere Nebenjobs, um Miete und Überleben zu sichern. Flurbereinigung – das sind die Menschen, die die Straßen begradigen, wo man auch mal mit einem großen Granitstein in den Armen in der Hocke durchs Unterholz kriecht – Kantine, Wäscherei, Zeitungsladen usw.

Ein Leben ohne Festanstellung
Als Synchronschauspielerin wird man nicht fest eingestellt, sondern als sogenannte „Unständige“ tageweise je Einsatz beschäftigt und abgerechnet. Das heißt, ich zahle auf mein tageweises Entgelt volle Sozialversicherungsbeiträge. In der Regel kommen aber nicht genug Tage der Beschäftigung in einem Monat zusammen, um in Zeiten von Auftragsflaute auch mal selbst Arbeitslosengeld zu erhalten. Auch das für einzelne Tage hohe Entgelt ist insgesamt auf den Monat betrachtet zu gering, um später eine angemessene Rente zu erhalten.

Im Gegensatz zu heute betrug meine Miete damals etwa ein Viertel meines Einkommens.

Also haben wir uns selbständig gemacht und eine Synchronfirma gegründet. Nach ein paar erfolgreichen Jahren mussten wir Insolvenz anmelden, da unser Hauptkunde erst immer später, dann gar nicht mehr gezahlt hat. Insolvenz bedeutet: alles weg – Geld, Auto und die vorausschauend angelegte Lebensversicherung. Dazu gab es „liebe Freunde“, die alles tun, um einem das Leben noch schwerer zu machen.

Erstmal keine andere Chance als Hartz IV
Reicht hinten und vorne nicht, und man wird meistens behandelt wie ein Schmarotzer, obwohl man jahrelang hart gearbeitet hat, ganz brav alle Anträge ausfüllt. Man lässt sich in sinnlose Maßnahmen stecken und bewirbt sich auf Jobs, die anscheinend prinzipiell nichts mit dem zu tun haben, was man gelernt hat und was man kann. Es drängt sich eher der Verdacht auf, dass einem der gebührende Platz klar gemacht werden soll: Putzen, Regal einräumen im Supermarkt, oder Putzen. Auf meine Anmerkung, dass ich ja schon etwas älter sei und meine Knie alles andere als frisch, bekam ich zu hören: „Sie sehen aber gar nicht so aus“. In diesem Fall ein eher zweifelhaftes Kompliment.

137 € Rente – Das heißt weiterarbeiten

Und jetzt, nach 37 Arbeitsjahren, flattert der Rentenbescheid ins Haus: 148 € im Monat, von denen nach Abzug von Sozialabgaben 137 €  ausgezahlt werden. Dass ich damit nicht werde leben können, ist offensichtlich – also wird es für mich heißen: weiter arbeiten! Und wenn es irgendwann nicht mehr geht, wieder zum Amt rennen, um die Grundsicherung zu beantragen und irgendwie zu überleben.

Nach so vielen Arbeitsjahren wäre es eine Riesenerleichterung, wenn auch Selbständige eine Grundversorgung,
die sie sich ja verdient haben, erhalten würden und nach dem Arbeitsleben ein bisschen ausruhen könnten.

Corinna Vock


Wie wir Armut verhindern und soziale Gerechtigkeit fördern wollen:

Gesetzlicher
Mindestlohn

  • Sofortiges Anheben auf 12€.
  • Danach weitere Steigerungen, um wirksam vor Armut zu schützen.
  • Abschaffung von Ausnahmen für Langzeitarbeitslose und Unter18-jährige.
  • Gleicher Lohn für gleiche Arbeit auch für Leiharbeiter*innen.

Garantiesicherung
statt Hartz IV

  • Keine Sanktionen mehr.
  • Neuberechnung des soziokulturellen Existenzminimums.
  • Erhöhung um min. 50€ in einem ersten Schritt.
  • Attraktivere Anrechnung von Einkommen: eine zusätzliche Erwerbstätigkeit soll immer zu einem spürbar höheren Einkommen führen.
  • Jugendliche in leistungsempfangenden Familien sollen ohne Anrechnung Geld verdienen dürfen.

Garantierente

  • Abbau prekärer Beschäftigung: Gute Löhne führen zu einer auskömmlichen Rente.
  • Schrittweiser Umbau der gesetzlichen Rentenversicherung zu einer Bürgerversicherung, in die perspektivisch alle mit einbezogen werden – der Altenpfleger und die Bundestagsabgeordnete.
  • Umbau der Grundrente zu einer Garantierente

„Wir wollen wissen was Bürger*Innen unseres Landkreises bewegt und sind dankbar für diese offenen Worte!“

Sabine Freund & Sandra Pengel
(Kreisvorsitzende)

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*Das Vorabgespräch führten die beiden Kreisvorsitzenden mit Corinna per Videokonferenz. Der Erfahrungsbericht wurde von ihr selbst verfasst und nicht redigiert. Lediglich der Name wurde aus Persönlichkeitsrechten von der Redaktion geändert.